Ein Worldcup Starter aus der Sektion Stuttgart

von Michael Müller

Ein Worldcup Starter aus der Sektion Stuttgart

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Beim Speedklettern geht es darum eine normierte, also immer gleiche, Wand so schnell wie möglich nach oben zu klettern. Bei einem Speedwettkampf sind immer zwei dieser Normspeed-Routen nebeneinander geschraubt. Gestartet wird zunächst mit zwei Training-Versuchen zum Eingewöhnen. Darauf folgt die Qualifikationsphase, in der jede Athletin und jeder Athlet wiederum zwei Versuche hat. Hier zählt die beste Zeit aus beiden Versuchen, denn nur die besten 16 Athletinnen und Athleten kommen ins Finale. Im Finale wird dann im KO-Modus geklettert, sodass nacheinander in sogenannten Rennen (Races) immer zwei Athletinnen bzw. Athleten gegeneinander antreten und der oder die schnellere weiterkommt.
Weil dabei immer der erste und letzte, zweiter und vorletzter und so weiter einer Runde gegeneinander antreten, landen die Erfolgreichsten eines Wettkampfs im großen Finale in dem es schlussendlich um die Plätze 1 und 2 geht.

Durch die weltweit gleich geschraubte und genau definierte Normspeed-Route können alle Athletinnen und Athleten ihre perfekte Lösung trainieren, einschleifen und perfektionieren.

Genau das macht Dorian mehrmals wöchentlich, denn Speedklettern ist seine absolute Lieblingsdisziplin im Wettkampfklettern. Mit dem Climbing Team der Sektion Stuttgart trainierte Dorian schon früh das Speedklettern. 2017 wurde er beim Deutschen Jugendcup 3., für ihn definitiv ein großer Ansporn mehr Zeit und Energie in diese Disziplin zu investieren. Seit 2020 fokussiert er sich vollständig aufs Speed-Klettern und das mit Erfolg. 2021 zieht er für sein Studium der Informatik nach München, der Kontakt nach Stuttgart bleibt zum Glück.

Durch immer bessere Zeiten und Wettkampfergebnisse durfte Dorian bereits auf zahlreichen europäischen Wettkämpfen klettern und er schaffte 2022 den Einzug in das Nationalteam-Speed des DAVs.

Seine Erfolge gipfelten 2023 in einem weiteren großen Meilenstein. Aber lest selbst, was Dorian euch berichtet…

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Alles begann am 13. Mai 2023 an einem kalten und regnerischen Tag während des Europacups im Speedklettern im spanischen Liébana. Nach einer erfolgreichen Qualifikationsrunde konnte ich auch mein Rennen im Achtelfinale für mich entscheiden. Doch erst im Nachhinein realisierte ich die Bedeutung dieses Erfolgs: Ich hatte die Top 8 eines Europacups erreicht – das Ticket für meinen ersten Weltcup in Villars!


Knapp zwei Monate später, am 30. Juni 2023, brechen Aodhan Umlauf, ein Freund und Trainingskollege, und ich von München aus mit dem Zug in Richtung Schweiz auf. Trotz einiger Unwägbarkeiten, darunter die obligatorische Verspätung der Bahn, erreichen wir schließlich Villars. Hier empfängt uns der Rest vom Nationalteam in einem komfortablen Ferienhaus mit atemberaubendem Bergpanorama.


Der eigentliche Worldcup steht am 2. Juli an, also unmittelbar bevor. Deshalb nutzten wir den Tag davor zur Erholung und zur finalen Vorbereitung. Mit leichtem Aktivierungs-Training und einem leckeren Abendessen sorgen wir für die bestmögliche Vorbereitung. Danach geht es früh ins Bett, denn der Wettkampf startet schon um 09:00 und der Wecker ist auf 06:30 gestellt.


Nach dem Frühstück machen wir uns auf den Weg zum Aufwärmen. Der Aufwärmbereich ist geräumig und gut ausgestattet. Es gilt: Warm werden, fokussieren und das „Wettkampf-Mindset“ aktivieren.


Nach ca. 40 Minuten Aufwärmen geht es schließlich mit einem Shuttle zum Wettkampfort. Hier warten die Speed-Wand und ein kleiner Aufwärmbereich, in dem wir die letzten Minuten vor dem Start verbringen.


Normalerweise fällt es mir leicht, mich zu konzentrieren und meine Nervosität in Schach zu halten, doch an diesem Tag ist alles anders. Ein Worldcup ist eben eine ganz andere Hausnummer. Ich fühle mich ähnlich wie vor meinem ersten Europäischen Jugendcup vor zwei Jahren. Es ist ein Mix aus Vorfreude, Nervosität und dem Versuch so weit wie irgendwie möglich ruhig zu bleiben.


Mein erster Lauf ist von Unsicherheit und kleinen Fehlern geprägt. Doch es ist nur die Trainingsrunde – ein Auftakt zur Einstimmung.


Die lange Wartezeit vor dem zweiten Lauf des Trainings ist eine neue Erfahrung für mich. Ich hatte zuvor noch nie an einem Wettkampf mit über 70 Startern teilgenommen. Ich nutze die Zeit, um meine Aufregung zu bewältigen, und es funktioniert. Der zweite Trainingslauf läuft besser, ruhiger und schneller.


Die Pause vor der Qualifikation zieht sich erneut in die Länge. Daher fahre ich nochmal mit dem Shuttle in den Aufwärmbereich, um mich warm zu halten.


Gegen 12:00 Uhr wird es dann ernst – die Qualifikation steht an. Aus den nächsten beiden Läufen zählt die schnellere Zeit, Fehler sollten jetzt also nicht mehr passieren.


Doch das klappt beim erste Qualifikationslauf noch nicht optimal – ein kleiner Stolperer und keine gute Zeit. Also in der Pause vor dem zweiten Qualifikationslauf nochmal fokussieren, locker machen und die Aufregung loswerden.


Dann kommt der zweite Qualifikationslauf, die letzte Chance – jetzt zählte es wirklich! Ich stelle mich vor die Wand und spule den Ablauf ab, den ich bereits tausendfach geübt habe – Die Startposition testen, das Startpad richtig hinlegen, mich zum Publikum drehen, tief durchatmen. Der Schiedsrichter gibt das Startsignal: "At your marks", ich gehe in die Startposition, "Ready", die drei Startsignale ertönen, und schon geht es los!

Ich drücke mich vom Boden ab und beginne zu klettern. Ich muss nicht nachdenken, jede Bewegung sitzt und läuft automatisch ab.

Dieses Mal läuft es besser! Zwar immer noch etwas angespannt, aber ohne größere Fehler erreiche ich das Abschlag-Pad. 6,16 Sekunden zeigt die Uhr. Nicht ganz meine Bestzeit, aber am Ende reicht es für den 54. Platz.


Damit geht ein ereignisreicher Wettkampftag zu Ende. Nach all der harten Arbeit, den Nerven und der Aufregung ist es Zeit, Bilanz zu ziehen. Dieser Worldcup war eine völlig neue Liga für mich, und ich kann es kaum erwarten, die nächsten Wettkämpfe zu bestreiten. Diese Erfahrung zeigt mir, dass ich noch viel vor mir habe und noch viel lernen muss. Umso motivierter bin ich, weiter hart zu trainieren und mich neuen Herausforderungen zu stellen. Das ist erst der Anfang, und ich freue mich darauf, meine Leidenschaft für das Speedklettern in den kommenden Trainings und Wettkämpfen zu vertiefen und zu teilen.


Text: Dorian Zedler

Bilder: Dorian Zedler, Vivianna Lucke