Eine Geile Schinderei!

Michi und Niklas kletterten Ende Februar letzten Jahres die „Niemandsland“, die längste Tour der Schwäbischen Alb
„Fast 40 Meter reichen die steilen Nordwände gen Himmel. Die schattigen Klüfte und die spiegelglatten Platten dieser imposanten Felsformation thronen weit oben am steilen Hang über Bad Urach. Die Felsen haben eine lange Klettertradition. Die Routen sind allesamt anspruchsvoll, der Fels schroff und immer wieder brüchig - das fordert dem Begeher einiges ab.“ blabla...etc.
So oder zumindest so ähnlich hätten populäre Alpinautoren, wie zum Beispiel Reinhold Messner, die Sirchinger Nadeln auf der Uracher Alb beschrieben.
Sagen wir es so: Im Sommer sind die Sirchinger Nadeln das perfekte kühle Plätzchen für alle, die Routen im 6. bis 9. Grad suchen und technisch anspruchsvolle Kletterei mögen. Die Hakenabstände sind nicht so nah wie in der Kletterhalle und auch nicht wie im Fränkischen, aber sinnvoll gesetzt... solange man auf den ursprünglichen Routen bleibt.
Michi und Niklas hatten sich allerdings zum Ende des Winters Ende Februar letzten Jahres eine außergewöhnliche Route an den Sirchinger Nadeln ausgesucht: Die "Niemandsland". Die wahrscheinlich längste Kletterroute der Schwäbischen Alb quert die Sirchinger Nadeln in 10 Seillängen und Schwierigkeiten bis zu 8+ von rechts nach links.
Aber nun von Vorne:
Am 27.02.2021 um 5:30 Uhr klingelte der Wecker. Ein kurzer Blick aus dem Fenster: "Dunkelheit, Raureif, Temperaturen unter Null – im Bett noch einmal umdrehen ist jetzt die menschliche Alternative"
Aber sie hatten andere Pläne und das ist auch leicht zu Begründen:
Zu dieser Zeit war kompletter Lockdown. Das zweites zu Hause, die Kletterhalle auf der Waldau, schon seit Monaten geschlossen. Es wurde trotzdem fleißig per Zoom-Meetings trainiert und während frostig-dunkler Boulder-Sessions am Apfel in Feuerbach die Finger lang gezogen. Da hat man halt schon mal wieder Bock auf Fels und Mehrseillängen!
Also standen sie dann um 8 Uhr morgens vor dem Einstieg der "Durchfahrt Verboten" (7), die die erste Seillänge von unserer "Niemandsland" sein sollte. Bevor Niklas einstieg, stellte sich noch die Frage, was man an Kleidung mitnimmt?
Sie entschieden sich für eine einzige Daunenjacke, die immer der Sicherer bekam.
Dann ging es ans Klettern, die ersten paar Meter noch vertikal um ein wenig Höhe zu gewinnen. Kurz vor dem berühmten Durchfahrt-Verboten-Schild im oberen Teil der Route (welches man auch vom Tal aus sehen kann) bog Niklas ein wenig links ab, machte dort Stand und holte Michi nach. Michi führt die zweite Seillänge, die nun schon etwas knackiger und ausgesetzter nach links um den Bug der "Spreng, Karle, Spreng!" (8-) führte. Da es in der horizontalen Wegfindung keinen richtigen Vor- und Nachsteiger gibt, durfte sich auch Niklas an die kommenden weiten Hakenabständ gewöhnen.
Hierbei sei anzumerken, dass von den Erstbegehern für die "Niemandsland" keine zusätzlichen Haken gebohrt wurden. Mobile Sicherungsgeräte kann man meistens eh nicht legen. Sinnvoll sind allerdings ein paar Bandschlingen, um die bestehenden Haken zu verlängern und so die teilweise monströse Seilreibung zu verringern.
Nach einer kurzen Seillänge über Platten im dunkelsten Teil der Sirchinger Nadeln froren Michi und Niklas schon und Niklas zog seine dicken Socken nun zum Sichern über die Kletterschuhe. Die Hoffnung nach warmen Fingern nach ein paar Klettermetern hatten sie schon nach der ersten Seillänge aufgegeben. Ob mit oder ohne Handschuhe klettern, das merkten sie (zumindest von der Kälte her) nun auch nicht mehr. Doch die erste Crux-Seillange mit der Querung der Routen "Paris Dakar" (8+) und "Motodrom" (8+) hatte schon ein paar kleiner Fingerlöcher, sodass Michi sie dann besser ohne Handschuhe durchstieg. Niklas war nun komplett durchgefroren und scheiterte dann aufgrund seiner tauben Gliedmaßen bei dem Onsight-Versuch dieser Seillänge.
Weiter ging es dann recht problemlos über die Ausstiege der Klassiker Älblerplatte (8) und Frühlingserwachen (7+). Die Kletterei ist moderat, doch die Seilreibung recht groß und der Fels nicht immer ganz fest. Aufpassen mussten sie also trotzdem, bis sie dann den bequemen Stand in der Mitte des Eulerrisses (5+) erreichten. Etwa 6 Meter über dem Wandfuß erreicht man hier das Einstiegsplateau des Rissklassikers. Die Bodenunterstützung (Sina und Felix waren an dem Tag zum Sportklettern auch dort) band uns einen Beutel mit Essen und Kaffeekocher an das Seil und wurde hochgezogen.
Frierend, fast hypnotisiert starrten sie den Gaskocher an und warteten auf das heilige röcheln der Bialetti-Kanne. Endlich war der Kaffee fertig und die Motivation stieg wieder in die schwierigste Seillänge der Niemandsland einzusteigen.
Zwar waren die Finger und Füße trotzdem noch taub, aber Niklas stieg in die ersten Meter der „Steinzeit – Blauer Himmel“ (9-) ein und querte den „Bohrhakenpfeiler“ (9-) bis es dann in der Querung oberhalb der ersten Schlüsselstelle der Mastermind (9+) richtig zur Sache ging. Völlig planlos patschte Niklas blind nach links um die runde Kante, um einen guten Griff der „Neue Antiqua“ (6+) zu erhaschen. Vergeblich. Auch Michi fand den rettenden Griff um die Kante nicht im ersten Versuch, durfte dafür aber dann die nächste, abenteuerliche Seillänge mit etwas Buschwerk, Gerümpel, immenser Seilreibung und wenig Haken durch das buchstäbliche Niemandsland um den Klassiker der „Alte Führe“ (6+) bis zum Zwischenstand der alten Falkenwand vorsteigen.
Nun folgte ein kleine Abseilpassage leicht nach links zum 3. Haken der „Kaufmanns tote Hose“ (8). Von dort stieg Michi dann in die fantastische „Neue Falkenwand“ (8), welche ihm in der Ausstiegscrux nochmal zeigte, wer hier die Hosen an hat, und ihn auf dem letzten Meter abwarf. Sie waren einfach fix und fertig… Niklas konnte die Stelle gerade so noch sturzfrei klettern und kroch die letzten Meter den Albtrauf zu einem breit grinsendem Michi hinauf, der schon die letzten wärmenden Sonnenstrahlen genoss.

Was eine geile Schinderei!

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